Viniyoga
Viniyoga, Sanskrit: „vi“ von ethymologisch „viśeṣa“, Übersetzt: in besonderer Weise. So bezeichnet Viniyoga eine besondere Anwendung von Yoga, eben den angewandten Yoga.
1. Einführung
Viniyoga ist in der westlichen Hemisphäre als ein noch recht junger Yoga"stil" bekannt, beschreibt aber an sich nur das Prinzip der praktischen Anwendung von Yoga. Es ist somit weniger ein Stil, als vielmehr die Kunst, Yogaübungen individuell anzupassen und dabei die jeweiligen körperlichen Möglichkeiten und Voraussetzungen des Übenden zu berücksichtigen. Denn nicht jedes Asana, nicht jedes Pranayama oder Mantra und nicht jede Form der Meditation ist für jeden Yogaübenden zu jedem Zeitpunkt geeignet oder passend.
Als geistigen Vater sehen wir Sri Tirumalai Krishnamacharya, der nach eigener Aussage Viniyoga jedoch nicht "erfunden" hat, sondern sich in seiner Anwendung von Viniyoga auf das Yogasutra des Patanjali bezieht.
Sein Sohn und Schüler T.K.V. Desikachar entwickelte Viniyoga weiter und machte den angewandten Yoga Mitte des 20. Jahrhunderts im Westen bekannt. Dort wurde er als etwas völlig Neues aufgenommen und somit als Yoga"stil" eingeordnet.
2. Komponenten des Viniyoga
Eine Viniyogapraxis zeichnet sich durch vier Elemente aus:
- den intensiven Kontakt zum Atem
- das Verständnis von der Funktion eines Asanas
- das Prinzip des vinyasa krama
- die enge Verbindung zum Yogasutra
2.1 Der Atem
Der Atem spielt eine zentrale Rolle. In der Asana-Praxis ist der Atem der Rahmen für die Körperübungen. Der Atem/die Atemphase setzt ein, und der Körper folgt. Die Atemphase wird vollständig ausgeführt, und endet kurz nach der Körperbewegung. Damit sind die Gedanken fast automatisch im Hier und Jetzt. Der Atem sollte zu jedem Zeitpunkt harmonisch fließen, also (sanskr.) dirgha sukshma (übers. lang und fein). Wird der Atem fest, baut Druck im Inneren auf und gerät "außer Atem", so ist die Praxis (noch) nicht angemessen für den Übenden. Der Atem ist also auch Indikator für eine passende Asanapraxis. Der Übende sollte auch stets im eigenen Rhythmus atmen und sich bewegen, auch im Gruppenunterricht, unabhängig vom Tempo des/der YogalehrerIn oder der Mitübenden.
2.2 Die Funktion von Asana
Im Viniyoga wird zwischen Form und Funktion eines Asanas unterschieden. Die äußere Form ist meist das Ideal, wie wir es von Abbildungen in Büchern und Zeitschriften kennen. Das Ideal wird im Viniyoga jedoch der Funktion untergeordnet. Es geht also nicht darum, ein Asana möglichst nah am Ideal auszuführen, sondern um eine angemessene und angepasste, meist dynamische Praxis, welche die Funktion des Asanas beibehält. Bspw. muss Uttanasana (Vorbeuge aus dem Stand) nicht so tief ausgeführt werden, dass die Hände den Boden berühren. Es reicht auch, die Hände bspw. an den Knien abzulegen, wenn der Körper eine tiefere Haltung nicht zulässt (aus welchen Gründen auch immer). Die Funktion von Uttanasana, nämlich die Dehnung der Rückseite des Körpers, bleibt dabei erhalten. Grundvoraussetzung für den Übenden ist die Akzeptanz der eigenen (körperlichen) Grenzen, die sich im Verlauf einer mittel- bis langfristigen Praxis durchaus verschieben können.
2.3 Vinyasa krama
(siehe Artikel vinyasa krama)
2.4 Yogasutra
Bei einer Yogapraxis im Sinne des Yogasutra sollten die Asanas sthira-sukha (stabil und leicht), der Atem dirgha-sukshma (lang und fein) und der Geist ekagrata (ausgerichtet) sein. In diesem Zustand finden Körper, Atem und Geist (wieder) zu einer Einheit zusammen.
Der Zustand wird erreicht mit Abhyasa (Beharrlichkeit) und Vairagya (Gleichmut) (YS 1.12 und 1.15). Abhyasa braucht Yatna (Anstrengung), dirgha kala (über einen längeren Zeitraum hinweg), Nairantarya (Regelmäßigkeit) und Satkara (innere Überzeugung) (YS 1.14).
Der Übende muss folgende Eigenschaften mit-/aufbringen: Tapas (Disziplin), Svadhyaya (Selbststudium) und Isvarapranidhana (die Hingabe an etwas Höheres).
Das achtsame, angemessene Üben lässt ein neues, wohlwollendes Körpergefühl entstehen. Ehrgeiz und Leistungsdruck werden verringert. Weniger ist mehr.
Von diesem liebevollen Kontakt zum eigenen Selbst ausgehend, kann ein friedvoller Umgang mit der Um-/Mitwelt entstehen. Der Umgang mit Menschen, Tieren und der Natur werden ebenfalls achtsamer und liebevoller. Die Prinzipien des Viniyoga können somit in den Alltag übertragen, kultiviert und verbreitet werden.
Literaturangaben und Erklärungen:
Huchzermeyer, Das große illustrierte Yoga-Lexikon, 1. Auflage 2022, Verlag W. Huchzermeyer
Bräutigam, Uwe, Ein weißer Schimmel – Viniyoga: Ein Yoga-Klassiker, Viveka Nr. 19, S. 28ff
http://www.kompetenznetzyoga.de/viniyoganachgefragt.htm
https://www.yoga-aktuell.de/yoga/asanas-yoga-uebungen/heilsames-ueben-viniyoga/