Abhyasa und Vairagya
Abhyasa, Sanskrit: abhyāsa m, beständige Praxis, Übung, Wiederholung, Beharrlichkeit.
In Ergänzung: Vairagya, Sanskrit: vairāgya n, Gleichmut, Gelassenheit, Leidenschaftslosigkeit.
Etymologisch vi-rāga, das Nicht-Begehren (rāga m, Leidenschaft; vi Präfix, ohne, anders)
1. Einleitung
In der yogischen Praxis ist Abhyasa die (Selbst-)Disziplin, das „Dranbleiben“ an einem Thema. Denn nur eine regelmäßige Übung (sowohl körperlich, als auch mental) bringt Fortschritte hinsichtlich der eigenen Entwicklung.
Gleichzeitig gilt es, nicht verbissen zu werden und keinen ungesunden Ehrgeiz zu entwickeln. Vairagya steht für das Loslassen, die Leidenschaftslosigkeit, das Nicht-Begehren. So ist Vairagya untrennbar verbunden mit Abhyasa, der Beharrlichkeit.
Demnach ist das Gespann Abhyasa und Vairagya ein Grundsatz jeder yogischen Praxis. Abhyasa bringt die Regelmäßigkeit über einen längeren Zeitraum hinweg, Vairagya sorgt für das gesunde Gegengewicht. Im Ergebnis praktizieren wir mit Beständigkeit, geben uns Mühe, aber bleiben gelassen hinsichtlich der Ergebnisse und verfallen nicht in ungesunden Ehrgeiz, der uns selbst oder auch anderen schaden kann. Wir praktizieren mit Umsicht, Demut und Einfühlungsvermögen und behalten unser Ziel vor Augen.
2. Yogasutra (YS)
Im ersten Kapitel des Yogasutra heißt es zu Abhyasa und Vairagya:
YS 1.12
„(…)
Durch Abhyāsa (beharrliches Üben) und Vairagya (Gleichmut) kann die dynamische Stille des Citta (des meinenden Selbst) erreicht werden.
(…)
Erläuterung: Beharrliches Üben und nachhaltiger Gleichmut führen unweigerlich zur Einheit der Gefühle und Gedanken.“
YS 1.13
„(…)
Mit Hilfe von Übungen standhaft bei einem gewählten Thema zu bleiben ist Abhyāsa (beharrliches Üben).
(…)
Erläuterung: Beharrlich zu üben bedeutet, die Gefühle und die Gedanken auf ein Thema gerichtet zu halten.“
YS 1.14
„(…)
Nur dessen Übung wird Wurzeln schlagen, der lange Zeit ohne Unterbrechung mit einer hingebungsvollen Haltung und mit Rücksicht auf andere übt.
(…)
Erläuterung: bei beharrlichem Üben werden Gefühle und Gedanken über eine lange Zeit wiederholt auf ein Thema ausgerichtet, ohne dabei in Gleichgültigkeit oder Hochmut gegenüber anderen zu verfallen.“
In der Zusammenfassung des 1. Kapitels schreibt R. Sriram: „Wir brauchen einerseits Abhyāsa zur Mobilisierung der Willenskraft und andererseits Vairāgya, um mit Gelassenheit, Großzügigkeit, Nachgiebigkeit und etwas Abstand zu dem Ziel, das wir erreichen wollen, voranzuschreiten. Abhyāsa und Vairāgya sind wie zwei Standbeine, auf denen wir uns zu einer klaren Wahrnehmung hin entwicklen können.“
Literaturangaben und Erklärungen:
Huchzermeyer, Das große illustrierte Yoga-Lexikon, 1. Auflage 2022, Verlag W. Huchzermeyer
R. Sriram, Patanjali - Das Yogasutra, von der Erkenntnis zur Befreiung, Theseus, 2. überarbeitete Auflage, Bielefeld, 2006, ISBN 978-3-89901-241-5